Der März ist ein Versprechen – mit kurzem Verfallsdatum. Er ist ungnädig in seiner Enthüllung des Alten, des Vergangenen. Überall braunes Laub, Abgestorbenes, vom Schnee Zerquetschtes. Doch kleine Schönheiten zaubern ein Lächeln in wintermüde Gesichter. Noch immer braucht es wenig, um aufzufallen. Dafür legen manche sich ganz schön ins Zeug, wie etwa die bezaubernde Kuhschelle. Auch sie ein zartlila Versprechen, dass der Sommer kommen wird. Pure Zuversicht, die sich von Hoffnungszeichen nährt. Dazu gehören die roten Triebspitzen, mit denen sich die Bauernpfingstrose hervorwagt, ebenso wie kleine runde Gebilde, die Farne an der Nordseite durch die knittrigen Überreste ihrer Vorfahren schieben und die ein wenig an den Krummstab des Nikolaus erinnern. An Bäumen und Büschen glaube ich letztes Kräftesammeln vor dem großen Blühspektakel in April und Mai zu erahnen. Bläht sich manche Knospe schon? Liegt ein grünlicher Schimmer über der Westhecke? Das Abenteuer Frühling hat begonnen.

Morgens ist der Winter zurück. Schon wieder. Nasser Schnee liegt schwer auf den Büschen und drückt einige Zweige auseinander oder fast zu Boden. So viel zum grünen Schimmer. Ein Rotkehlchen sitzt auf der dünnsten Spitze des chinesischen Flieders, der wie eine mollige Kugel links vor der Terrasse steht. Es scheint ins Fenster zu schauen, und in seinem dunklen Blick sehe ich eine stille Übereinkunft: Schau, ich habe die Minus-20-Grad-Nächte überstanden; den Rest schaffen wir auch noch. Dass wenig später ein Buntspecht versucht, am Meisenknödel etwas Futter zu ergattern und dabei ordentlich ins Rotieren gerät, trägt zur weiteren Erheiterung bei. Zur Abrundung dieses Tages zwischen Winter und Frühling lese ich zufällig eine Sentenz zum Märzschnee: »geschmolzenes Parfait mit glasiertem Veilchendekor«. So schön kann ein März-Schneetag ausklingen.

Nein, Geduld ist wahrliche keine Tugend für den März. Steht nicht Frühlingsanfang im Kalender? Der erste Sonnentag – nach Wochen voller Grau, Nebel, nasser Kälte, immer wieder trübem Schnee – lässt hoffen. Zwei Fliegen und eine Wildbiene sonnen sich auf dem Terrassenstuhl; an der kleinen Pfütze vom letzten Schnee trinkt eine helle Hummel. Ein erster Starenhahn versucht mit ausgestellten Flügeln auf sich und sein Heim aufmerksam zu machen. Ob das bei den gefiederten Damen funktioniert? Die Hummel ist nun weitergeflogen und hat die Blüten des Vergissmeinnicht ausgemacht. Im Augenwinkel sehe ich einen Zitronenfalter, der nur knapp den dicken Pfoten des Nachbarkaters entkommt. Welche mitleidlose Ironie: Gerade in Froststarre den Winter überstanden und schon Katzenfutter – beinahe. Schrecken und Freude liegen so nah beieinander, dass ich mit dem Fühlen nicht nachkomme.

(Auszug aus Eva Rosenkranz: Überall ist Garten – Zufluchtsort zwischen Lebenskunst und Überleben; oekom Verlag 2019; Illustration von Ulrike Peters)

Eva Rosenkranz

Überall ist Garten

Zufluchtsort zwischen Lebenskunst und Überleben
352 Seiten, oekom verlag München, 2019
ISBN-13: 978-3-96238-107-3

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  • © Ulrike Peters
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