Das, was angesichts einer immer stärker intensivierten Agrarwirtschaft wie eine Utopie klingt, haben Christine und Norbert Grenzebach auf ihrem Biohof im oberbayerischen Hochstadt bei Weßling in einem über 30 Jahre anhaltenden Feld- oder besser gesagt „Wiesenversuch“ auf beeindruckende Weise geschafft: die Vereinbarkeit von Wirtschaftlichkeit und Naturschutz.

Man mag es kaum glauben, aber die oben im Titelbild am 3. Juni 2020 fotografierte Feuchtwiese mit Knabenkraut, Nelken, Trollblumen und Co. wurde noch bis vor wenigen Wochen, also bis Anfang Mai, beweidet!

Aber fangen wir von vorne an. Norbert Grenzebach fiel mir schon beim ersten Landwirtschaftstag 2019 in Wartaweil mit seinem Vortrag „Mit artenreichem Grünland wirtschaften“ auf, in dem er über seine Erfahrungen aus dem eigenen Demeter-Milchviehbetrieb berichtete. Mich beeindruckte seine Passion für Blühwiesen, wie wir sie oft nur noch aus der Kindheit kennen. Er erzählte, dass es, als er vor 30 Jahren den damals noch konventionell geführten Betrieb übernahm, nur noch Restbestände solcher artenreichen Blühwiesen gab. Sein Schwiegervater besaß noch eine solche Weide – und so beschloss er gemeinsam mit seiner Frau Christine zu versuchen, mit Mähgutübertrag die Pflanzenvielfalt auf die eigenen Flächen zu übertragen. Bis die erhoffte Vielfalt sich einstellte, dauerte auf manchen Wiesen bis zu 20 Jahre. Aber es hat funktioniert – das belegte er mit den Bildern seiner Präsentation auf eindrucksvolle Weise.

Ein Jahr später sprachen wir die Beiden beim zweiten Landwirtschaftstag an. Wir wünschten uns eine Exkursion auf ihren Weideflächen für unsere Dorfökologiegruppe. Christine schlug dafür Mai oder Juni vor, die Monate, in denen es am meisten zu sehen gibt. Doch dann kam Corona und das Vorhaben wurde erst einmal auf Eis gelegt.

Überraschend meldeten sich die Grenzebachs Ende Mai bei uns und schlugen einen Abendspaziergang mit zwei oder drei Leuten vor, zu dem wir uns dann auch gleich für die nächste Woche verabredeten.

Während wir auf dem Hof noch warteten, bis Norbert und Christine so weit waren, leisteten wir den Kühen beim „Abendessen“ Gesellschaft. Und genau um diese rund 40 Rinder umfassende Herde dreht sich der folgende Beitrag, auch wenn unser abendlicher Spaziergang ohne die Tiere stattfand.

Die Kühe entscheiden selbst, wo sie weiden

Wir starteten auf der kleinen Straße vor dem Hof und kamen kurz danach an einen Abzweig. Norbert erzählte uns, dass sie an dieser Stelle die Kühe oft selbst entscheiden lassen, auf welcher Wiese sie heute weiden wollen. Schließlich wüssten sie selbst am besten, wo momentan das saftigste Grün zu finden sei. Wichtig wäre, neben der Rasse, dass die Tiere von klein auf an die Weidehaltung gewöhnt seien. Da der tägliche Weidetrieb sehr zeitaufwändig ist, würde er gerne den Beruf des Dorfhirten wiederbeleben, der für alle Bauern im Dorf das Vieh hütet. Früher gab es so jemanden in jeder Gemeinde.

Wir gingen dann zuerst zu einer etwas erhöht liegenden Wiese, auf der ein Teil mit einem flexiblem Weidezaun abgesteckt war. Hier stand das Gras deutlich höher und es offenbarte sich eine wahres Blütenmeer, obwohl einige Blumenarten, wie der Wiesen-Bocksbart ihre Blütenstände am Abend bereits geschlossen hatten.

Die Intuition entscheidet

Die Grenzebachs entscheiden immer situationsbedingt, wann sie welche Flächen aus der Beweidung nehmen, da entwickle man über die Jahre ein Gespür. Einen festen Mähplan gäbe es nicht, erzählte Norbert

Die weiteren Weidegebiete, zu denen wir uns von hier aus auf den Weg machten, liegen unterhalb, in einem kleinen Tal. Dazu ging es einen kleinen geteerten Hohlweg durch ein Waldstück bergab. Hier genehmigen sich die Tiere während des Abtriebs oft eine kleine Wegzehrung, indem sie seitlich in der Böschung grasen. Dabei werden auch Blütensamen, die an den Kühen haften, weitergetragen. 

Kühe als Samentransporteure

Neben den im Fell haftenden Samen werden diese auch über den Dung verbreitet, der wiederum Habitat für ca. zweihundert Insektenarten ist. Außerdem schaffen Kühe gerade an den Hängen mit ihren Klauen offene Stellen im Boden, in denen Keimlinge optimale Bedingungen finden.

Entlang der Trampelpfade konnten wir immer wieder Türkenbundlilien kurz vor der Blüte entdecken, die sich auf diese Weise verbreitet haben. Unten, im von bewaldeten Hängen gesäumten Tal angelangt, konnte man die spezielle Struktur, die durch extensive Weidewirtschaft entsteht, gut erkennen.

An den Hängen wächst neben Margeriten, Wiesensalbei, Ackerwitwenblume und anderen typischen Wiesenblumen auch die Teufelskralle, die laut Christine aus dem Alpenraum „eingeschleppt“ wurde. An diesem relativ steilen Hangstück waren die, durch die Rinderklauen aufgerissenen Stellen im Boden besonders gut erkennbar. Auf manchen Flächen zählen die Grenzebachs bis zu 60 Arten pro Quadratmeter, nur Blühpflanzen wohlgemerkt. Das wäre auch im internationalen Vergleich ein Spitzenwert. Der Rekord liegt bei etwa 80 Arten im südamerikanischen Raum.

Auf dem Rückweg, die Sonne hat sich bereits hinter den Horizont zurückgezogen, passierten wir eine erst vor kurzem beweidete Wiese, an der sich ein weiteres Phänomen gut erkennen ließ: Auch Kühe sind bequem und grasen lieber auf ebenem, als auf abschüssigem Gelände.

Auch Zäune sind Strukturelemente

Mir fiel auf, dass auf den Weiden der Grenzebachs noch viele Holzpfostenzäune stehen. Das sei ein wichtiges Strukturelement, da an den Streifen entlang der Zäune die Kühe zwar grasen, aber nicht stehen und den Boden verdichten können, erklärte mir Norbert.

Dadurch werden eigene Lebensräume für bodenbrütende Insekten geschaffen, die auf der offenen Wiese oft zertrampelt werden. Auch die Holzpfosten selbst sind Nisthilfen für bestimmte Insektenarten. Wenn ein Pfosten instabil wird, schlägt er einfach einen Neuen daneben und lässt den Alten für die Insekten stehen.  Das schaut darüber hinaus auch noch malerisch aus, wie das Bild links zeigt.

Das Beste kommt zum Schluss

Am Ende unseres Spaziergangs, kamen wir zu einer Senke mit der zu Anfang bereits erwähnten, an ein kleines Moor grenzenden Feuchtwiese.

Hier haben die Kühe noch bis vor einem Monat geweidet. Im August wird sie dann einmal gemäht und im Herbst kommt das Vieh wieder zur Nachweide auf diese Wiese. Und trotzdem (oder gerade deswegen?) diese Blütenpracht mit seltenen Orchideen, die ich bei uns nur von nicht beweideten Biotopflächen kenne – das hat uns wirklich sehr beeindruckt.

Auf dem Rückweg zum Hof, der Mond war bereits aufgegangen, erzählte uns Norbert noch, dass er, wenn er die Kühe abends in den Stall zurücktreibt, oft Stare beobachtet, die in den warmen Luftsäulen, die von den Tieren aufsteigen, nach Insekten „grasen“. Wenn es dunkler wird, kommen dann auch die Fledermäuse dazu. Da ging mir der Gedanke durch den Kopf, dass diese Lebensräume weitestgehend verschwunden sind. Wie lässt sich das ändern? Die Begeisterung für die Artenvielfalt, die Christine und Norbert Grenzebach mit ihrer Art der Bewirtschaftung ermöglichen, spricht in ihren Erzählungen aus jedem Satz und spiegelt sich in ihren Gesichtern. Jede neu entdeckte Art, jede auch im Folgejahr wieder erblühte Blume lässt ihnen das Herz aufgehen – immer wieder aufs Neue. Das Ehepaar Grenzebach brennt für das was sie tun – ebenso wie ihre Kinder, die den Hof inzwischen gemeinsam mit den Eltern bewirtschaften. Wenn auch nur ein kleiner Funke ihrer Begeisterung auf andere Landwirte überspringt, hätten wir alle viel gewonnen! Das Umdenken, so Norbert, kommt mit der Freude, die man beim Anblick einer neu erblühten Art verspürt – und nicht durch Belehrung und Überzeugungsarbeit. Es geht also darum, auch andere Landwirte zu begeistern. Und wer könnte das besser, als Grenzebach selbst.

Wir bedanken uns bei Christine und Norbert Grenzebach, dass sie ihr Lebensprojekt mit uns geteilt haben und hoffen, dass ihr Vorbild viele Nachahmer findet.

Wenn ihr mehr über den Biohof Grenzebach erfahren möchtet, besucht doch einfach deren Website:

Weitere Links zum Thema:

Hier noch ein paar Videos, die die Kühe der Grenzebachs in Aktion zeigen:

Bildnachweis: