Die Natur in der EU steht unter Stress: Wälder werden für den Straßenbau gerodet, Flüsse für den Schiffsverkehr begradigt, wertvolle Moore für den Abbau von Torf zerstört. Die EU-Kommission will gegensteuern.

Seit Jahren schon bemängelt die EU-Kommission den Zustand der Natur in Deutschland – Bund und Länder hätten hierzulande systematisch zu wenig Naturschutzgebiete ausgewiesen und die schon seit 1992 bestehende Vorgaben nicht umgesetzt. Die EU wirft Bund und Ländern zudem vor, die Schutzgebiete unzureichend rechtlich zu sichern und keine ausreichend konkreten Schutzziele zu formulieren.

Weil nichts geschieht, hat die EU-Kommission Deutschland im Frühjahr wegen jahrelanger Verstöße gegen geltendes Naturschutzrecht vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verklagt. Schon 2015 hatte die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet, die Bedenken konnten im Laufe der Jahre nicht ausgeräumt werden. Nach eingehender Diskussion mit den deutschen Behörden habe Brüssel seine Forderungen 2019 noch einmal unterstrichen. Seitdem habe Deutschland aber immer noch nicht ausreichend nachgebessert, so die Kommission. Daher nun die Klage vor dem EuGH.

Die Ausweisung von Schutzgebieten und die Festlegung von Erhaltungszielen hat für die Kommission hohe Priorität, insbesondere im Hinblick auf die kürzlich angenommene EU-Biodiversitätsstrategie für 2030, mit der die Durchsetzung der bestehenden EU-Umweltvorschriften verbessert werden soll. Im Fall einer Verurteilung Deutschlands durch den Europäischen Gerichtshof drohen hohe Strafzahlungen.

Das Bundesumweltministerium (Ministerin Svenja Schulze, SPD) reagierte auf die Klageankündigung: Man habe auf die Mahnungen aus Brüssel sehr wohl reagiert und erhebliche Fortschritte gemacht. Über 98 Prozent aller FFH-Gebiete seien rechtlich gesichert und für ca. 84 Prozent der Gebiete die Erhaltungsmaßnahmen festgelegt. Die Forderungen der Kommission seien aus Sicht der Länder und des Bundes rechtlich jedoch zu weitgehend. „Die Umsetzung würde einen immensen finanziellen und verwaltungstechnischen Aufwand bedeuten und sich für die insgesamt ca. 4.600 FFH-Gebiete vermutlich über viele Jahre hinziehen“, so eine Mitteilung des Ministeriums. Ein Sprecher des Bundesumweltministerium ließ dazu verlauten: „Da geht es weniger um die Qualität der Schutzgebiete, sondern es geht darum, wieviel Bürokratie im Schutzgebietsmanagement der Länder nötig ist. Und da wünscht sich die EU-Kommission einen Detailgrad, der uns tatsächlich Sorgen macht. Die Ressourcen der Naturschutzverwaltung von Bund, Ländern, Kommunen sind begrenzt. Und wenn die jetzt über Jahre hinaus ihre Energie in die Überarbeitung von Gebietsverordnungen stecken müssen, dann könnte das für den Naturschutz sogar kontraproduktiv sein.“ Zudem sei das Umweltministerium nur der „Briefträger“. Die FFH-Gebiete seien Sache der Länder und Kommunen.

Die FFH-Richtlinie besagt, dass in den Schutzgebieten Maßnahmen getroffen werden müssen, um die dortigen Arten und Lebensräume zu erhalten bzw. wiederherzustellen. Das muss sehr detailliert festgelegt werden. Auch, um die Erfolge messbar zu machen. In Deutschland gibt es wenig detailgenaue Zielvorgaben. Das wirkt sich auf die Qualität und Wirksamkeit der Erhaltungsmaßnahmen aus, klagt die EU-Kommission.

Wie schaut das denn in den anderen 26 EU-Ländern aus? „Was jetzt die grundsätzlichen Ursachen angeht, wurden in Deutschland einfach sehr, sehr viele FFH-Gebiete ausgewiesen. Über 4600. Andere EU-Länder haben deutlich weniger, größere Gebiete ausgewiesen. Und haben es dann leichter”, wird der Sprecher des Umweltministeriums auf dem Euranet-Radionetzwerk zitiert. Und: Was die Klage vor dem EuGH angeht wolle man jetzt erstmal abwarten, bis die Klageschrift vorliegt. Und dann mal schauen … (sr)

Quellen: www.tagesschau.de, www.nabu.de, www.euractiv.de, www.euranetplus.de/2021

Bildnachweis:

  • © Sibylle Reiter